Anton Starkopfs Erinnerungen an seine Jugend

Festgehalten am 19. und 20. Oktober 1960 von Voldemar Erm.

Krieg und Gefängnis
1914 war ich wieder mit A. Tassa in Finnland, dieses Mal in der Nähe von Wyborg. Wir sollten gemeinsam durch Italien nach Paris reisen, aber Tassa stieß auf etwas, das ihn daran hinderte, mit mir zu reisen. Wir haben vereinbart, dass ich voausfahren und in Dresden auf ihn warten würde. Schon während der Fahrt und vor allem beim Grenzübertritt war ein Donnern in der Luft zu spüren. An einen Kriegsausbruch glaubte ich aber trotzdem nicht, weil es mir zu hektisch vorkam und ich hoffte, dass die Antikriegskräfte ihren Einfluss geltend machen würden im deutschen Parlament. Doch der Donner grollte, der Krieg brach aus und hatte sofort schwerwiegende Folgen für mich. Als russischer Staatsbürger wurde ich in Dresden verhaftet und sofort ins Gefängnis gesteckt. Mit hartnäckiger Entschlossenheit der Deutschen wurde ich der Spionage für Russland beschuldigt, und es hat nicht viel gefehlt, dass die Sache für mich tödlich geendet hätte und ich erschossen worden wäre. Sie versuchten auf jede erdenkliche Weise, mich zu beeinflussen, damit ich ein Verbrechen gestände, das gegen mich erfunden worden war. Aber ich hatte nichts zu gestehen, denn ich wartete nur darauf, um Tassa auf dem Weg nach Paris einzuholen. Allerdings konnte er die Grenze nicht passieren. Wie es das Schicksal wollte, änderte sich meine Situation zum Besseren, als Dr. Krause aus Leipzig zum Ermittler für Kriegsgefangenen-Angelegenheiten ernannt wurde. Er war anders als der übliche deutsche Beamte, hatte eine breitere Einstellung, ein relativ wohlwollender Mann, ein ausgebildeter Anwalt. Gleich beim ersten Treffen schaute er mich an und fragte mich: Mensch, warum sind Sie hier? Ich erzählte ihm meine Geschichte, dass ich Kunststudent war und auf dem Weg nach Paris in Dresden verhaftet wurde. Er wusste, wo ich studiert hatte. An der Ažbe-Schule in München und dann an der "Académie Russe" und "La Grande Chaumière" in Paris, habe ich geantwortet. Er fragte, wo ich dort wohnte. Er erklärte: Meine Frau ist Bildhauerin, hat einige Jahre zuvor an derselben Kunstschule studiert und im selben Hotel gewohnt. Damit war der menschliche Kontakt zu ihm hergestellt. Er versprach, zu sehen, was er für mich tun könne. Eine gute Bekannte seiner Frau war eine reiche Dame Knoop, die in Finnland gelebt hatte und eine große Bewundererin der Finnen war. In den folgenden Tagen trafen in der Gefängnisstation Lebensmittelpakete mit allerlei Leckereien ein. Dr. Krause selbst besuchte die Station. Ein Wächter kam vorbei und fing an, ihn zu verfluchen. "Leiser, leiser!" sagte Krause und zeigte sein offizielles Zertifikat. Sofort war der Respekt der Wachen noch größer. Dr. Krause hielt sein Wort und sorgte dafür, dass ich aus dem Gefängnis entlassen wurde. Ich war dann im Kriegsgefangenenlager der Stadt Wehlen interniert, wo das Leben etwas entspannter war, ich mich aber trotzdem jeden Tag bei der Polizei melden musste. Das Leben im Lager war ziemlich schlecht, wenig Essen, die Stimmung unter Null.

Als Steinmetz in Deutschland
Durch Dr. Krauses Hilfe kam die Erlaubnis, das Lager zu verlassen und eine Arbeit zu suchen. Da mein Anzug bereits im Gefängnis völlig abgenutzt und zerfetzt war, hat Dr. Krause für mich sogar neue Kleidung machen zu lassen. Eine Steinmetzwerkstatt hätte einem Bildhauer möglicherweise die beste Jobmöglichkeit geboten. So ähnlich war auch die Werkstatt von L. Butze in Wehlen, wo ich eine Steinmetzlehre machte. Jüngere Arbeiter wurden für die Armee mobilisiert, daher war es notwendig, auch unter den Internierten Lehrlinge aufzunehmen. Beim ersten Stein habe ich unachtsam die Kante abgebrochen, aber zum Glück waren im Moment noch genügend Steine ​​da. Zunächst mussten gewöhnliche Hilfsarbeiten durchgeführt werden – das Schneiden von Grabsteinen und Säulen. Die Kollegen brachten mir Arbeitstechniken bei und traten vor dem Inhaber für mich ein. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt und konnte bereits alleine schneiden. Meine erste große Arbeit war eine Monument mit dem Bild eines Stierkopfes und eines Hundes. Ich bekam 30 Mark im Monat, was kaum ausreichte, um atmen zu können. Die Unterstützung, die ich vom finnischen Konsul erhielt, gab den finnischen Kriegsgefangenen ein wenig Auftrieb, und da ich einen finnischen Pass hatte, galt ich auch als finnischer Staatsbürger.
1916 wurde ich für kurze Zeit nach Rothen versetzt, gelangte aber von dort nach Dresden in die Marmorfabrik von P. Pietsch und K. Zähne, wo mir die Geheimnisse der Verarbeitung dieses Materials beigebracht wurde. Hier gab es bereits weitere interessante Aufgaben zu erledigen. Da es wenige Männer gab, war ich mit meinen wenigen Fähigkeiten gefragt. Auch das Gehalt stieg.
Ich konnte bei einer schwarzen Familie wohnen, wo der Mann im Krieg war, während die Frau zu Hause war. Sie war eine gute Person und kümmerte sich um mich so gut es ging. Dort lernte ich eine reiche Familie kennen, zu der ich eingeladen wurde und – oh mein Gott! – wurde sofort als Bräutigam betrachtet. Sie haben mich gebeten, bis spät in den Abend zu bleiben, und als ich mich auf den Weg machte, fragten sie: „Was sagen die Leute jetzt, Trude ist noch so jung!" – als sollte ich sofort einen Verlobungsring kaufen. Später wollten sie mir sogar eine Steinmetzwerkstatt kaufen. Es wurde so hitzig, dass ich Dresden verlassen musste.
Ich hatte Geld für ein paar Wochen gespart und bin nach Berlin gegangen. Zuerst kannte ich weder die Menschen noch die Umstände hier. Ich holte mir die Adressen der „Bildhauer“ aus dem Adressbuch und machte mich auf die Suche nach einem Job. Dabei handelte es sich jedoch allesamt um gewöhnliche Kruzifixe, von denen man nichts lernen konnte. Endlich hat jemand gesagt, man solle nach „Steinbildhauern“ suchen.
Das Geld ging bereits zur Neige, als ich schließlich eine Anstellung in der Werkstatt von K. Hubrich bekam, die eine der Filialen der großen Werkstatt von L. Manzel war. Ich war jetzt gelernter Arbeiter und wurde entsprechend bezahlt. Hier galt es, für einen Dom ein riesiges Marmorrelief anzufertigen. Das Relief bestand aus drei Blöcken und wurde im Auftrag der Gemeinde Posen, der Domverwaltung und Kaiser Wilhelm mit jeweils einem Drittel Eigenanteil, insgesamt also über drei Millionen Mark, in Auftrag gegeben. Das Relief war bereits punktiert, als Hubrich den Befehl gab, den Block ans andere Ende der Werkstatt in ein besseres Licht zu bringen. Ich war erstaunt, wie ein so großer Block überhaupt bewegt werden konnte. Einer der Schüler der Werkstatt – es waren ziemlich viele Arbeiter da – sagte: "Warte!", nahm die Rollen und anderen Hilfsmittel, stellte sie dort auf, wo sie benötigt wurden, drückte einen Knopf an der Wand und der Block bewegte sich wie von selbst an die gewünschte Stelle. Die Werkstatt war geräumig, gut eingerichtet und mechanisiert. Die Deutschen wusssten bereits, wie das geht, was sehr nützlich war. Angesichts des großen Arbeitsaufwands war dies wirklich unerlässlich.
Mir wurde gesagt, ich solle eine Figur nehmen und sie fertigstellen. Doch wieder passierte ein Unfall – ich brach mir den großen Zeh. Mit Mühe gelang es mir, das gesamte Bein tiefer zu punktieren. Man hat es erst später bemerkt, aber dann war die Figur schon sauber ausgeschnitten und der Fehler war nicht mehr so ​​auffällig.
Manzel galt als hervorragender Pädagoge, doch auf dem Gebiet der Schnitzerei gab es von ihm nichts zu lernen. Dagegen konnte man von manchen Arbeitern etwas Nützliches lernen. Einmal versuchte er, einige Korrekturen an meiner Figur vorzunehmen und zeichnete einige Linien auf den Marmor. Sie hätten jedoch nur die Form des angegebenen Ortes beeinträchtigt. Ich habe den Ort so gelassen, wie er war, aber die Zeilen gelöscht. Nach ein paar Tagen kam Manzel zufällig wieder in die Werkstatt, schaute sich meine Arbeit an und lobte von hinten „Gut, gut!“
In Berlin übte er sich in Philipp Holzmanns großer Steinmetzwerkstatt sowie bei Kösner und Gottschalk, doch die boten nicht mehr Nützliches.
Im November 1916 gelang es mir, in die Werkstatt des berühmten Bildhauers Franz Metzner einzusteigen, wo ich über eineinhalb Jahre als Assistent arbeitete. Hier war es notwendig, seine Werke zu modellieren, vor allem aber in Stein oder Marmor zu schnitzen. Hier stieg mein Gehalt bereits auf 380 Mark und lag damit über dem Gehalt mancher Offiziere. Sie waren mit mir zufrieden und ich hätte meine Karriere in Berlin hervorragend fortsetzen können.
Metzners Arbeiten aus Granit kannte ich bereits aus meinen früheren Studien. Sie gefielen mir wegen ihrer grandiosen, verallgemeinernden Formensprache. Deshalb war es interessant, mit ihm zusammenzuarbeiten, auch wenn er mich gelegentlich die Drecksarbeit eines echten Studenten erledigen ließ. In den meisten Fällen mussten jedoch vorbereitende Schnitzarbeiten durchgeführt werden, beispielsweise bei den Porträts von Hindenburg und Lessing. Dann gab es die Gelegenheit, Hindenburg selbst in der Werkstatt zu treffen. Ich war gerade dabei, ein Porträt zu schnitzen. Hindenburg sah zu und fragte, ob sein Kopf auch mit einem Steinbohrer und einem Hammer geschlagen würde. "Wie denn sonst? Das tue ich immer so", antwortete ich. "Armer Kopf" lachte Hindenburg.
Nachdem ich in Metzners Atelier gearbeitet hatte, konnte ich durch ihn mit dem Berliner Kunstleben und den Künstlern in Kontakt kommen. Es war die Zeit des Aufstiegs des deutschen Expressionismus und es kam zu großen Umbrüchen im künstlerischen Leben. Auf den Ausstellungen sah ich Werke mehrerer Vertreter neuer Strömungen. Ich selbst habe an der Lewin-Funcke-Kunstschule Zeichnen und Modellieren geübt.
Die ständige Unterernährung und die anstrengende Arbeit beeinträchtigten jedoch meine Gesundheit. Ich war furchtbar abgemagert und meine Kräfte ließen nach. Auf Empfehlung der Ärzte gab ich meinen Beruf als Steinmetz auf und begann als Übersetzer in der Tuberkulose-Heilanstalt Sprottau zu arbeiten. Hier war die Arbeit einfacher und das Essen etwas besser.
Im November 1918 brach in Deutschland eine Revolution aus. Dies eröffnete die Möglichkeit einer Rückreise in die Heimat. Das Leben in Deutschland war unerträglich schlimm geworden, also nutzte ich sofort die Gelegenheit, um nach Hause zu gehen. Am Ende des Jahres kam ich nach Hause, wo ich mich mehrere Monate lang erholen konnte. Eine neue Ära begann in meinem Leben.